Vom Bauding zu Appenberg
Wenn wir heute das Wort Bauding lesen oder hören, so richten sich
unsere Gedanken unwillkürlich auf das moderne Haus- und
Wohnungsbauwesen. Ein schönes Wohnhaus zu besitzen, ist der Wunsch
vieler Familien; eine moderne Fabrik zu erstellen, das Ziel eines
Unternehmers und ein repräsentatives Verwaltungsgebäude vorweisen zu
können, der Stolz einer Gemeinde. Ein Großteil unseres Gestaltens und
Schaffens ist heute auf das moderne Bauwesen gerichtet.
Die Menschen des Mittelalters hatten andere Sorgen. Auf komfortables
Wohnen konnten sie wenig Mühe verwenden, vor allem nicht die
bäuerlichen Unterschichten der Gesellschaft. Wenn bei ihnen vom Bauen
die Rede war, so dachten sie in erster Linie an den Feldbau. Auf eine
gut ausgestattete Wohnung konnten sie verzichten, nicht aber auf die
Bestellung ihrer Felder, wollten sie im Winter nicht verhungern. Noch
heute spricht der Bauer im Hahnenkamm, wenn er im Frühjahr und Herbst
die Saat in den Boden bringt, nicht vom Säen, sondern vom Bauen.
"Diese Woche beginnt das Bauen", so hörte man manchem noch vor fünfzig
Jahren sagen und er meinte damit die arbeitsreiche Zeit der Frühjahrs-
und Herbstbestellung der Äcker, die nicht an einem Tag erledigt werden
konnte wie heutzutage, sondern sich oft über Wochen hinzog.
Das Bauding im Frühjahr drehte sich also um die Dinge des Feldbaues.
Da auch in Ober- und Unterappenberg das Eigentum an Grund und Boden
wie überall im Land einer Zweiteilung unterlag - Obereigentümer war um
diese Zeit der Markgraf von Brandenburg-Ansbach in Gestalt des
Oberamtes Hohentrüdingen, Untereigentümer die Bauern zu Oberappenberg
-, so mussten beide bestrebt sein, dass die Höfe alle mit einer
bäuerlichen Familie besetzt waren, die ordentlich wirtschaftete und
die Nahrungsmittel für sich produzierte und die Abgaben für den
Obereigentümer erbrachte.
Zu diesem Zweck fand alljährlich vor der Frühjahrsbestellung, in der
Regel Mitte März, eine Pflichtversammlung der Bauern im Meierhof zu
Oberappenberg statt, zu der auch der Oberamtmann von Hohentrüdingen
erschien oder, wenn dieser verhindert war, als Stellvertreter der
Kastner vom Kastenamt Hohentrüdingen mit Sitz in Heidenheim. Da das
Bauding in der Regel im März stattfand, bürgerte sich dafür auch
bisweilen die Bezeichnung "Märzengericht" ein. Gerichtet wurde hier
nicht über Leben und Tod, auch nicht über die begangenen Feldfrevel,
sondern über die Besetzung der Höfe und deren ordentliche
Bewirtschaftung. Der Besuch des Baudings war jedoch Pflicht für jeden
Bauern und Seldner, der zum Kastenamt Hohentrüdingen gehörte. Darüber
steht geschrieben:
-
"Item zum ersten, so ein Amtmann kommt und beut (bietet) in das
Bauding, so soll ein jeglicher Bauer und Seldner (Kleinbauer)
kommen. Und soll ein jeder ein Huhn mit ihm bringen und ein Maß
Weins und soll ein jeder kommen. Und welcher ausbleibt, den möchten
(dürfen) die andern Bauern vertrinken, teuer oder nahend. Dazu mag
ihn ein Herr strafen auf sein Gnad".
-
Erläuterung:
Das Bauding dauerte von einem Mittag zum andern. Zum Abschluss fand
das Baudingsmahl statt. Es wurde aber nicht vom Amtmann oder Kastner
gespendet oder gar vom Meier, jeder einzelne Teilnehmer hatte dazu
beizutragen und eine Henne mitzubringen. Mit der Zubereitung des
Baudingsmahles waren wohl die Meierin und ihre Mägde oder Töchter
beauftragt. Zum Mahl trank man Wein, von dem jeder eine Maß
beizusteuern hatte. Bier wurde dazumal nur vereinzelt getrunken. Den
Wein bezog man von den Weinhändlern in den nahen Städten, die
Weinfuhren "hinab gen Franken" in die Gegend von Würzburg und
Kitzingen oder an den Neckar schickten. Bauern, die das Bauding
versäumten, konnte der Herr mit Geldstrafen belegen. Den Anwesenden
war es gestattet, auf Kosten des Säumigen zu trinken. Ein Versäumnis
des Baudings wird allerdings selten vorgekommen sein.
Was wurde nun im Bauding verhandelt?
Der zweite Punkt
der Baudingsordnung lautet:
-
"Item so soll ein Herr mit ihnen (den Bauern) rechen und mit welchen
er rechet, den heiß er ihm verbürgen seines Gutes Recht um Gült und
um Unbau zu Dorf und zu Feld. Und wenn er ihm das verbürgt, soll ein
Herr oder Amtmann von den Bauern aufnehmen. Und find er ihm um das
alles gerecht, so soll der Bauer, der seinen Hof oder das Gut wieder
will bestehen, dem soll der Herr wieder leihen ohne Silber und Gold.
Und wenn er ihm geleiht, so sind die Bauern ledig".
-
Erläuterung:
Da saßen sie nun die Bauern von Ober- und Unterappenberg und die
Seldner und "Baudingten" in der Stube des Meierhofes mit dem
Vertreter des Oberamtmanns zu Hohentrüdingen. Der hohe Herr hatte
nun mit ihnen zu rechnen oder zu rechen. Das heißt nicht, dass hier
nun jeder Zahlen vorlegen musste wie heutzutage bei einer modernen
Buchführung. Rechen bedeutet im Mittelhochdeutschen auch:
Rechenschaft ablegen. Natürlich hatte nicht der Amtmann oder der
Kastner gegenüber seinen Untergebenen Rechenschaft zu geben, sondern
die Bauern als Untereigentümer gegenüber dem Grundherrn, der in
Appenberg zugleich Gerichtsherr war. Jeder Bauer hatte über den
Zustand seines Hofes zu berichten, zu Dorf und zu Feld die Abgaben
anzugeben, die er der Herrschaft schuldete. Der Herrschaft kam es
vor allem darauf an, die grundherrlichen und gerichtsherrlichen
Abgaben zu erhalten und das war nur möglich, wenn der Bauer
ordentlich wirtschaftete. Sie alle hatten gegenüber ihrem Herren
Bürgschaft zu leisten. Jeder musste auch darlegen, welche Rechte und
Pflichten für die Herrschaft auf seinem Hofe ruhten, welche Äcker
und Wiesen dazugehörten. Der Amtmann wollte auch wissen, welche
Felder im Unbau lagen und aus irgend einem Grunde nicht bestellt
werden konnten. Sicherlich gab es auch Lob und Tadel von seiten der
Herrschaft. Das Salbuch, in dem alle Grundstücke aufgezeichnet und
alle Rechte und Abgaben sorgfältig verzeichnet waren, bot dem
Kastner eine wertvolle Hilfe. Formell musste am Tage des Baudings
jeder seinen Hof sinnbildlich der Herrschaft aufgeben zum Zeichen
der Anerkennung des Obereigentums des Herrn. Fand dieser alles an
dem Hof "gerecht", so konnte er sofort wieder an den Bauern
verliehen werden "ohne Silber und Gold". Es brauchte in diesem Fall
kein Handlohn, keine Besitzwechselabgabe vom Bauern entrichtet
werden.
Der dritte Punkt:
-
"Item wenn ein Bauer von einem Hof fuhr in dem Bauding, so soll ein
Herr zween (zwei) in dem Bauding nehmen und ein Bauer auch zwei. Die
sollen den Unbau schauen zu Dorf, zu den vier Tagen. Und zu Feld zu
Sankt Walburgentag (1. Mai), acht Tag vor oder nach ungefähr. Ob
(wenn) man aber die vier Mann in dem Bauding nit find, so mag man
anderswo frumb Biderleut nehmen".
-
Erläuterung:
Es kam auch vor, dass einem Bauern, der schlecht wirtschaftete, der
Hof vom Amtmann oder Kastner abgesprochen wurde. Doch konnte
deswegen der Bauer nicht sofort von seinem Anwesen verjagt werden.
Man gab ihm Gelegenheit, seinen Hof zu bessern. Eine Art Ausschuss
von 4 Personen sollte darüber ein Gutachten abgeben. Der Amtmann
durfte aus den Baudingsleuten zwei Männer auswählen, ebenso der
schlecht wirtschaftende Bauer. Fanden sich im Bauding keine für ihn,
so sollten anderswo unbescholtene Leute (Biderleut) für ihn
einstehen. Der Ausschuss sollte an vier Tagen im Jahr den Hof und an
Walburgi sein Feld besichtigen und dann entscheiden, ob man dem
Säumigen sein Gut belassen könne.
Vierter Punkt:
-
"Item stürb ein Bauer in dem Jahr, so sollen die Erben sitzen bis zu
den vier Tagen. Wollen sie den Hof bestehn (übernehmen) und mögen
ihm voransein, nach des Herrn Gutdünken, so soll ihnen ein Herr vor
anderen leihen".
-
Erläuterung:
Stirbt ein Bauer, sollen die Erben nach 4 Tagen Beratung
entscheiden, ob sie den Hof übernehmen wollen. Sagen sie zu, soll
ihnen der Herr den Hof vor anderen Mitbewerbern überlassen. Im
Todesfall musste eine Besitzwechselabgabe erstattet werden.
Vom Hubgericht
Darüber steht geschrieben:
-
"Item es ziehe ein Bauer oder stürb, oder sein Erben von einem Hof,
so soll ein ittlicher (jeder) hinter ihm lassen Hubrecht, nach der
Güter Recht: 6 Mutt Habern (Hafer), ein Leit (Fuhre) Heu, ein Leit
(Fuhre) Stroh, vier Heller und 6 Heller zu Weglos".
-
Erläuterung:
Unter dem Hubgericht verstand man im Mittelalter kein Gericht im
Sinne einer Verurteilung und Bestrafung, sondern besser gesagt: ein
Recht, das auf einer Hube, auf einem Bauernhof, beruht, falls der
Besitzer vom Hofe wegzieht oder stirbt ohne Erben. Die Herrschaft
Hohentrüdingen (das Kastenamt Hohentrüdingen mit Sitz in Heidenheim)
war in Oberappenberg Grund- und Gerichtsherr. Es hatte ein Interesse
daran, dass der Bauernhof, von dem der Bauer durch Tod oder Wegzug
verschwunden ist, möglichst schnell wiederbesetzt und bewirtschaftet
wird, damit der Herrschaft wieder festgesetzte Abgaben zufließen,
denn letzten Endes beruhte die Macht einer Adelsherrschaft auf dem
Schweiß ihrer bäuerlichen Untertanen. Damit nun ein nachrückender
Bauer bald wieder ordentlich wirtschaften konnte, musste beim Tod
oder Abzug seines Vorgängers eine Mindestausstattung bei der Hube
(Bauernhof) verbleiben. Das war im Salbuch verzeichnet und wurde
Hubrecht oder Hubgericht genannt. Auf dem großen Meierhof des
Klosters Heidenheim in Geilsheim z.B. hatte der abgehende Meier
folgendes zu hinterlassen:
- 12 Kastenmalter Hafer und einen Kasten zu dem Hafer.
- 1 Fuhre Heu
- 1 Fuhre Stroh
-
einen beschlagenen Wagen, der eine Fuhre Mist bis an den dritten
Feldrain tragen konnte
-
Und einen gerüsteten Pflug, als er gen Acker soll gan (gehen) ohne
Pferd und Silen (Zugstränge)
- Und eine Schweinsmutter, die Junge hab oder mit Jungen geh
- Und 12 Hennen und einen Hahn
-
Und ein Siddel (Mehlsiddel, Truhe), da 12 Mann aufsitzen können
So in Geilsheim auf dem Meierhof. In Oberappenberg blieb man
bescheidener. Da musste auf einer Hube (Vollbauernhof) beim Abzug
einer Bauernfamilie folgendes zum Neubeginn hinterlassen werden:
- 6 Mutt Hafer (Mutt war ein Getreidemaß ähnlich dem Scheffel)
- 1 Leit (Fuhre) Heu
- 1 Leit (Fuhre) Stroh
- vier Heller und 6 Heller zu Weglos
Eine Leite bedeutet hier "Wagenladung Stroh". 6 Heller waren als
Weglöse beim Abzug eines Bauern an den Grundherrn zu entrichten. Von
hinterlassenen Arbeitsgeräten und Haustieren ist bei den Appenberger
Höfen infolge Besitzwechsels nicht die Rede. Der neu aufziehende Bauer
hatte keinen leichten Anfang.
Besthaupt oder Todfallabgabe
Dazu berichtet die Baudingsordnung:
-
"Und stürb einer auf dem Hof, so soll ein Herr das best Haupt Viehs
ohneins nehmen".
Diese Abgabe mutet uns heute merkwürdig an. Da stirbt auf einem Hof
ein Bauer womöglich schon in jüngeren Jahren, was einen großen Verlust
für den Hof bedeutet. Jetzt greift die Herrschaft als Obereigentümer
zu und verlangt von den Erben oder von der Frau des Verstorbenen das
beste Stück Vieh. Diese Todfallabgabe wurde Besthaupt oder Hauptrecht
genannt. Doch das war nun einmal die Wirklichkeit des Mittelalters.
Diese Abgabe stammt aus der Zeit der Leibeigenschaft. Der Hof hatte in
erster Linie der Adelsherrschaft zu dienen, erst dann der unfreien
Bauernfamilie. Nach der Agrarverfassung des frühen Mittelalters hatte
der Herr Anspruch auf den gesamten Nachlass der unfreien Leute. Später
wurde er dann gemildert und auf das beste Stück Vieh beschränkt, daher
Besthaupt oder Sterbhaupt genannt.