Ein sauber geschriebenes Salbuch aus der Zeit um 1400 berichtet:
Ist das nicht merkwürdig? Der Abt des Klosters sollte Gericht halten können in Heidenheim? War dies möglich? Wie konnte der fromme Mann, der im Kloster lebt und in Gemeinschaft mit seinen Mönchen um das Heil der Seelen zu beten hat, dazu sich gleichzeitig als Richter betätigen über alle Bürger von Heidenheim, ganz gleich, ob sie dem Kloster oder dem Bischof von Eichstätt angehörten?
Er konnte und er musste es tun, denn er war nicht nur der Vorsteher seines Klosters und geistlicher Vater, sondern zugleich größter Grundherr und noch dazu Marktherr im Ort. Die Zuständigkeit seines Gerichts war allerdings beschränkt. Sie erstreckte sich zwar auf alle Bürger im Markt, egal ob sie klösterliche oder bischöfliche Grundholden waren, aber nicht auf alle Straffälle. Über die großen Vergehen wie Mord und Totschlag, über Diebstahl, Notzucht und Brandstiftung, die im Mittelalter die Todesstrafe zur Folge hatten, durfte der Abt nicht richten. Das verbot ihm sein geistliches Amt, denn die Kirche sollte kein Blut vergießen. Diese schweren Vergehen abzustrafen, war dem Adelsgericht des Vogts vorbehalten, den Grafen von Truhendingen (Hohentrüdingen), ab etwa 1400 ihren Nachfolgern, den Markgrafen von Brandenburg - Ansbach.
Wohl aber konnte der Abt des Klosters Heidenheim als Grund- und Marktherr zusammen mit seinen 12 geschworenen Bürgern in seinem Ehaftgericht Urteile fällen und Strafen verhängen, die nicht den Tod zur Folge hatten, sondern mit Geld gebüßt werden konnten. Im hohen und späten Mittelalter entwickelte sich im Gerichtswesen eine außerordentliche Fülle von Gerichtszuständigkeiten in persönlicher, örtlicher und sachlicher Hinsicht. Der Abt des Klosters Heidenheim konnte nur in seinem geistlichen und in seinem Ehaftgericht tätig sein. Was versteht man nun unter einem Ehaftgericht?
Das mittelhochdeutsche Wort ehaft hat ein gar vielschichtiges Bedeutungsfeld. Als Eigenschaftswort bedeutet es "gesetzlich, gesetzmäßig, rechtsgültig", als Hauptwort "Recht - und Gesetzmäßigkeit, Rechte und Pflichten einer Gemeinde". Unter dem Hauptwort gedinge verstand man "Gericht, Übereinkunft, Vertrag" (2). Gedinge steht in Verbindung mit Ehaft. Unter der Bezeichnung im Salbuch "ein gemeins offen Gericht Ehaft und Gedinge" dürfen wir also eine "allgemeine offene Gerichtsversammlung" verstehen, die unter dem Vorsitz des Abtes im Jahr einmal stattfand und in der die Vergehen der Bürger zur Abstrafung kamen, die gegen die Ordnung im Markt und im Feld begangen wurden. Ein Gerichtsgebäude hat dazumal in Heidenheim noch nicht bestanden. Das "Ehaft und Gedinge" fand im Kloster, im so genannten Siedelhof unter freiem Himmel, bei schlechtem Wetter womöglich im Rathaus, in einem Stadel des Klosters oder unter einer Linde statt, doch den genauen Ort kennen wir nicht. Es heißt nur "in seinem Gottshaus", doch damit wird wohl nicht die jetzige Kirche, sondern der Klosterbereich gemeint sein. Wenn von einem Gericht die Rede ist, so denken wir modernen Menschen im Volksmund meist gleich an Strafe, an Vergehen, die einen Strafvollzug zur Folge haben. Das mittelhochdeutsche Wort recht bedeutet zunächst "in gerader Linie, gerade", dann "so wie es sich nach Sitte oder Gesetz gebührt". Die Strafen, die im Ehaftgericht verhängt werden mussten, betrafen meist Vergehen geringen Grades. Da hat einer z.B. seine jungen Gänse in Nachbars Garten unbeaufsichtigt grasen lassen, seine Pferde vor der festgesetzten Stunde auf die Nachtweide getrieben, seine Schweine auf der Wiese des Angrenzers wühlen lassen. Ein anderer hat mit der Sichel im jungen Schlag gegrast, sein Knecht ist mit den Ochsen über des anderen Acker gefahren, seine Magd hat beim Grasen 5 Haferstöck ausgerissen. Aber auch die Vergehen im Markt fielen in die Zuständigkeit des Ehaftgerichts und Gedinge. Bisweilen hatte ein Bäcker das Brot zu klein gebacken, der Bierbrauer schlechtes Bier geliefert, der Fallknecht das verendete Vieh nicht recht vergraben. Alle diese Vergehen konnten nicht gleich mit dem Tod bestraft werden, sie kamen vor das Ehaftgericht, das ein Niedergericht war und vom Abt oder dessen Beauftragten geleitet wurde. Der Abt des Klosters war also Inhaber der Niedergerichtsbarkeit in Heidenheim.
An dem Tag des Ehaftgerichts im Markt Heidenheim stand dem Abt oder seinem von ihm Beauftragten alle Vollmacht als Richter zu. Kein weltlicher Herr durfte ihn daran hindern. Er konnte sich die Kläger anhören, die gegen einen Mitbürger im Markt etwas vorzubringen hatten und entschied nach Recht und Widerrecht. Im Salbuch ist darüber zu lesen:
Hier demonstriert der Abt des Klosters Heidenheim um 1400 seine volle Vogtfreiheit. Diese erstreckte sich in Heidenheim nur auf den Bereich des Siedelhofes und auf die 46 freien Hofstätten im Ort. Wenn hier von freien Hofstätten die Rede ist, so bedeutet das nicht, dass die Leute, die auf ihnen saßen, tun und lassen konnten, was sie wollten. Ihre Freiheit bezog sich nur auf die Tatsache, dass ihnen kein weltlicher Beamter, kein Vogt und dessen Bedienstete, auf ihren Anwesen etwas zu bestimmen hatten. Auch brauchten sie nur dem Abt an den bestimmten Tagen ihren Zins zu entrichten
Jeder Bürger in Heidenheim, der auf einer Hofstatt, einer Selde, einem Lehen oder einer Hufe saß, ob klösterlicher oder eichstättischer Grundholde, war verpflichtet, an dem Ehaftgericht teilzunehmen. Frauen nahmen wohl kaum teil. Ebenso wenig ist von den so genannten Höfern die Rede, die auf den Einzelhöfen in Kirschenloh, Kohlhof, Eggenthal, Mariabrunn, Balsen- und Scheckenmühle wohnten. Sie waren zu jener Zeit noch weitgehend selbständig und zählten nicht zur Marktgemeinde. Die Ladung zum Ehaftgericht erfolgte durch den Zöllner des Klosters. Darüber schreibt das Salbuch:
Im 15. Jahrhundert begann allmählich die Selbständigkeit des Klosters Heidenheim zu schwinden. Die Markgrafen von Brandenburg - Ansbach dehnten ihre Macht in den südfränkischen Raum aus und gewannen auf dem Weg über die weltliche Schutzherrschaft auch Einfluss auf die Klöster Wülzburg, Heidenheim und Auhausen a.d. Wörnitz. In Heidenheim erreichten sie schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts über den eichstättischen Meierhof und seine zugehörigen Hufen, Lehen und Hofstätten die weltliche Herrschaft (Vogtei) als Nachfolger der ehemaligen Grafen von Truhendingen (erst Alten- dann Hohentrüdingen). Den Pflegern ihrer Herrschaft in Heidenheim musste es als ein Übel erscheinen, dass der Abt des Klosters im Ehaftgericht auch über ihre Untertanen im Markt die Strafgewalt im Niedergericht (Ehaft) ausübte. Sie versuchten den Einfluss des Klosters zurückzudrängen und es allmählich völlig unter ihre Herrschaft zu bringen. Schon im 15. Jahrhundert stellten sie Steuerforderungen an den Abt. Doch so leicht war die Rechtsposition des Klosters im Markt Heidenheim, die ja auf alten Privilegien durch "Päpste, Kaiser und Könige" beruhte, von den Markgrafen nicht zu brechen. Dazu mussten erst gewaltige soziale und religiöse Erschütterungen mit ihrer Wirkung auch in den Hahnenkamm hereinstrahlen, damit Änderungen in den Rechtspositionen in Heidenheim erfolgen konnten. Im Bauernkrieg blieb das Kloster infolge der Niederlage des Ries- und Hesselberghaufens in der Schlacht bei Ostheim am 7. Mai 1525 vor der Plünderung verschont, aber das Gewitter dieser sozialen Revolution wirkte sich auch auf die Klöster aus. Diese verloren ihr Ansehen als Heilsinstitution. In Heidenheim blieb zudem der sittliche Verfall des Abtes und der Mönche nicht verborgen. Markgraf Kasimir suchte nach Wegen und Mitteln, wie er die Klöster gänzlich in sein Territorium einziehen könnte. Doch dies gelang erst unter seinem Nachfolger Georg dem Frommen im Jahre 1537. Das Kloster Heidenheim wurde in ein weltliches Klosterverwalteramt umgewandelt. Dieser Vorgang hatte auch Auswirkungen auf das Ehaftgericht und auf die Rechte und Freiheiten des ehemaligen Klosters im Markt Heidenheim. Noch bevor das Kloster eingezogen wurde, stellte der Abt Christoph Mundscheller Anfragen "seines Gottshaus Freiheit und Beschwerden halben" an den Markgrafen Kasimir. Daraufhin erhielt er etwa folgenden Bescheid: Dem Abt bleibt das Recht, alljährlich das Ehhaftgericht zu halten, aber dass ein jeder das Gericht besuchen muss, gesteht man ihm nicht zu. Wer in den vier Toren des Klosters sitzt, soll frei von Steuern sein, aber dass jemand in das Kloster flieht und er dort "gehalten" wird, kann nur mit Wissen und Willen der Amtleute und der Obrigkeit geschehen.
Die freien Hofstätten des Klosters sollen ihre Freiheit verlieren und alle vogtbar, steuerbar und reisbar sein. Auch die markgräflichen Amtleute sollen auf ihnen gebieten und verbieten können. Der Abt habe von ihnen nichts als den Zins zu fordern. Wenn jemand Feldfrevel begangen hat, soll der Abt nur von seinen Leuten die Strafgelder beziehen. Der Zollner soll seine Funktionen ausüben wie bisher, aber der Abt soll das Rathaus bauen. Des Mistes halben im Markt ist der Vogt ebenso berechtigt zu gebieten wie der Zöllner des Klosters. Die Schätzer über den Wein zu bestellen, bleibt weiterhin beim Kloster. Das Schenken ob der Achs zu erlauben, gebührt dem Abt, doch mit Wissen der Herrschaft. Dass der Zollner des Klosters das Recht habe, den besten Loh im Gemeindeholz auszuwählen, müsse abgeschafft werden. Die zwei Holzwarte sollen ihn zuteilen. Wir sehen, dass sich hinter diesen Forderungen des Markgrafen Kasimir die Absicht verbirgt, die Rechte und Freiheiten, die dem Kloster im Mittelalter zustanden, einzuschränken und dieses schließlich in sein Territorium einzugliedern (5).
Nach der Reformation verschwand das Kloster als geistliche Einrichtung, seine weltlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gebilde dagegen bestanden noch lange fort. Die wurden nun nicht mehr von einem Abt betreut, der nach seinem Willen schalten und walten konnte, sondern von einem weltlichen Bediensteten, dem Klosterverwalter, der nach den Weisungen des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach zu handeln hatte. Man sollte glauben, in Heidenheim sei nun der historisch gewachsene Gegensatz zwischen dem Kloster und der weltlichen Herrschaft im Markt für immer erloschen. Jedoch die Klosterverwalter entwickelten ein starkes Eigenbewusstsein gegenüber den weltlichen Beamten, dem Kastner und Vogt, und sogar gegenüber dem Oberamtmann von Hohentrüdingen, der meist dem niederen Adel angehörte. Die weltlichen Herren schielten mit einem gewissen Neid auf die Rechte des Klosterverwalters im Ehaftgericht. Es gelang ihnen nicht, die volle richterliche Gewalt über die Untertanen des Klosteramtes zu erringen. Amtmann und Klosterverwalter mussten die Macht über die Heidenheimer Untertanen teilen. Das Hohentrüdinger Salbuch, um 1535 entstanden, berichtet darüber:
Dem Klosterverwalter blieben trotz der Eingliederung des ehemaligen Klosterbesitzes in das Territorium des Markgrafen noch lange Zeit weitgehende Rechte erhalten, über die er sorgfältig wachte. Zwar waren die einst dem Kloster gehörigen freien Hofstätten nun alle vogtbar und steuerbar geworden, aber der Marktzoll fiel weiterhin dem Klosteramt zu. Wein-, Brot-, und Fleischschätzen, Besichtigung der Mühlen und Feuerstätten blieb nach wie vor Sache des Klosters, wie man noch lange Zeit für Klosterverwalteramt sagte. Lange Epochen hindurch mag das Nebeneinander von Klosterverwalteramt und den markgräflichen weltlichen Ämtern (Kastenamt, Vogtamt) im Ehaftgericht ohne große Spannungen verlaufen sein. Doch um 1600 schien es so, als würden die markgräflichen Kastner und Vögte den Vorrang des Klosterverwalters im Ehaftgericht nicht mehr hinnehmen wollen. Sie ließen ihr Interesse an der Teilnahme am Ehaftgericht erlahmen, wohl mit der Absicht, den Unwillen der Bürger gegen das Klosteramt zu schüren. Etliche Jahre fand überhaupt keine Gerichtsversammlung mehr statt. Der Klosterverwalter fürchtete um seine Rechte. Er wandte sich schriftlich an den Markgrafen und beschwerte sich, dass die Bürgerschaft begehre
Bürgermeister und Rat klagten,
Der Klosterverwalter richtete seine Klage auch an den Oberamtmann von Hohentrüdingen. Doch erhielt er von diesem eine Absage. Durch das gegenseitige Misstrauen, das zwischen dem Klosterverwalteramt als Nachfolger der ehemaligen geistlichen Grundherrschaft des Klosters Heidenheim auf der einen Seite und dem weltlichen Kasten- und Vogtamt auf der anderen Seite wurde auch die Bevölkerung angesteckt, die das Klosterverwalteramt als überholt betrachtete und für die Überführung in die weltlichen Ämter war. Aber der Klosterverwalter hielt noch die Schätzung des Brotes, des Weins, des Bierbrauens, die Kontrolle der Feuerstätten, die Mühlenbeschau und die Kontrolle des Waldes in den Händen. Der Oberamtmann von Hohentrüdingen, der meist dem niederen Adel angehörte und an dem Ehaftgericht teilnehmen musste, wollte sich keine Vorschriften von dem bürgerlichen Klosterverwalter machen lassen und seine Untergebenen, der Kastner und Vogt, hatten ihm in dieser Einstellung zu folgen. So zog sich der Gegensatz zwischen den markgräflichen Ämtern über das Ehaftgericht Jahre und Jahrzehnte hin. Immer wieder versuchten die Beamten des Markgrafen das Ehehaftgericht an sich zu ziehen, wie geschrieben steht:
1682 erfahren wir:
Doch ohne Ehaftgericht schien die Ordnung im Markt Heidenheim nicht ganz gewahrt geblieben zu sein, daher wurde es