Wer die Gefilde der großen Gemarkung Heidenheim am Hahnenkamm durchstreift, dessen Blick fällt heute auf ausgedehnte Getreide- und Maisfelder, angefüllt mit einem fast beängstigenden goldenen Überfluss von Halmen und Körnern. Große Grundstücke dehnen sich in die Weite, ziehen in bewegten Wellen die Hänge des Rohrachtales hinauf oder verlieren sich in der Einsamkeit der Hahnenkammhochfläche gegen Degersheim zu. Ein einziger Mann arbeitet sich zur Erntezeit heute mit seinem Mähdrescherriesen in die Unendlichkeit der Getreidefelder, wo noch vor 50 Jahren ganze Familien auf kleinräumigen Äckern in der Sonnenglut und in mühevoller Handarbeit den Erntesegen bargen, getrieben von der Sorge um das tägliche Brot, über die heute niemand mehr nachdenkt. Nur noch die älteren Leute im Markt können sich daran erinnern, wie zersplittert einst die Flur von Heidenheim war. Kleine und kleinste Feldstücke lagen neben größeren Blöcken wie ein buntes Mosaikgebilde, für das Auge zur Erntezeit ein erhebender Anblick, für die Bauern eine Plage, denn es mussten unendlich viele Wege zu den überall in der Gemarkung verstreuten Äckerlein zu Fuß zurückgelegt werden und der lange nicht so üppige Erntesegen in gemächlichem Tempo mit Kuh- und Ochsengespannen eingebracht werden. Oft wurden die Fuhren von plötzlichen Gewitterregen durchnässt und von roten Blitzen und Donnerschlägen begleitet.
Diese verwirrte Gebilde der Flurzersplitterung, ein Erbe aus dem Mittelalter, ist heute durch den Einsatz von moderner Vermessungstechnik und großer Baumaschinen verschwunden. Über das vielfältige Liniengewirr von kleinen und kleinsten Äckerlein hat die Flurbereinigung in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen Hauch der Weite und die Freiheit der Bewegung gebreitet durch den Bau von ziemlich geraden, befestigten Wegen, die moderne Erntemaschinen brauchen, um den Ertrag der riesigen Getreide- und Maislandschaft in ein paar sonnigen Tagen einheimsen zu können. Eine neue Zeit ist berauschend und umformend in die jahrhundertealte Gewannflur mit der Dreifelderwirtschaft: Sommerfeld, Winterfeld und Brache eingezogen. Kein Bauer wünscht sich den alten Zustand zurück. Doch wo Licht ist, fällt auch Schatten. Die großen Flächen an Getreide und Mais erfordern ergiebige Düngung durch Gülle oder Mineraldünger. Als Folge muss das Grundwasser überwacht werden. Spritzmittel haben Kornblume und roten Mohn aus den Feldern verdrängt, zahlreiche Tier- und Pflanzenarten stehen vor dem Aussterben. Die große Weite und Beweglichkeit in unseren Fluren brachte auch als Folge beängstigende menschliche Einsamkeit und Naturentfremdung. Kaum eine Frau nimmt noch an der Feldarbeit teil. Die Kinder lernen die Natur nur noch im Fernsehen kennen, nicht mehr wie einst im Wald, am Feldrain und in den Wiesengründen, wo sie an der Arbeit ihrer Eltern teilnahmen und erfahren konnten, wie hart das tägliche Brot erarbeitet werden musste. Überall herrscht heute Gewinnstreben und Glaube an die Macht des Geldes. Die Verbindung des Menschen mit seiner heimatlichen Natur ist gestört. Man braucht Reisen in fremde Erdteile um die Wunder der Natur zu erleben, nicht mehr die Heimatflur, die einst das Bildungsfeld unserer Ahnen bedeutete und deren bescheidene Wunder nur noch wenige bestaunen können.
Verschwunden mit den zahlreichen kleinen Äckern und Wiesen sind auch schöne Namen, die an ihnen hafteten. Nur noch wenige Jahrzehnte und die meisten unter ihnen werden wohl in völlige Vergessenheit geraten sein. Flurnamen werden sie genannt. Die Menschen verwendeten sie allerdings schon früher im täglichen Sprachgebrauch, ohne lange über ihren Sinn nachzudenken. Wer aber in sie besinnlich hineinhorcht, der erkennt in ihnen mehr als Schall und Rauch. Eine ganze große Welt von Gedanken und Empfindungen steckt in ihnen geborgen. Die unermessliche Fülle an Naturverbundenheit, Beobachtungsgabe, Fantasie, Denken und Fühlen unserer Ahnen wurde mit den Flurnamen auf heimatliche Felder, Wiesen und Wälder in der Umgebung im Laufe der Jahrhunderte ausgeschüttet und nachfolgenden Generationen überliefert. Heute im Zeitalter der technisierten Landwirtschaft werden viele dieser Flurnamen der Vergessenheit anheim fallen. Wir wollen im Folgenden in ihre inhaltsreiche Welt hineinblicken und uns von ihnen erzählen lassen, welche Umstände zu ihrer Entstehung führten, denn wer seine Heimatgemarkung nicht nur räumlich, sondern auch geistig erschließen will, wird sie zu Rate ziehen und lauschen, was sie uns zu berichten haben.