Im 11. Jahrhundert, zur Zeit der salischen Kaiser liegt tiefes Dunkel über der Geschichte des Klosters Heidenheim. Hundert Jahre später rückte es wieder in das helle Licht der schriftlichen Überlieferung. Stürmische Zeiten mit bewegenden Ereignissen nahten heran, deren Wirkung weit über den Markt Heidenheim hinaus zu verspüren waren und sogar Kaiser und Papst zur Entscheidung aufriefen. Was war geschehen?
Die Verehrung der heiligen Walburgis, die nach dem Tod ihres Bruders Wunibald nach Heidenheim gekommen war und hier auch begraben wurde, hatte im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts eine weite, fast abendländische Verbreitung erfahren. Walburgiskirchen und Walburgiskapellen entstanden nicht nur im Bistum Eichstätt, sie wurden auch anderwärts errichtet. Ja Reliquien der Heiligen wanderten bis nach Flandern, an den Niederrhein und nach Lothringen und in den Norden Europas, weniger in den Süden. In den Küstenlandschaften Hollands und Belgiens galt Walburgis geradezu als Schutzheilige gegen die Normannen, die vom 8. bis zum 11. Jahrhundert teils als Seeräuber, teils als Eroberer und Abenteurer landeinwärts vordrangen und die Gebiete verwüsteten. In der Nähe des berühmten Klosters Cluny in Burgund, dem Ausgangspunkt der großen religiösen Erneuerungsbewegung des Abendlandes im 11. und 12. Jahrhundert, stand schon im Jahre 928 eine Walburgiskapelle. Kirchen und Klöster gedachten in ihrer Liturgie der Heiligen, ihre Altäre verwahrten Reliquien oder man erflehte in Gebeten ihren Beistand. Die Verehrung der heiligen Walburgis, deren Wunder die Herzen der Gläubigen entflammten, war natürlich auch noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wach geblieben, in einer Zeit also, in der in Deutschland die Hirsauer Bewegung sich ausgebreitet hatte und eine Rückkehr der Geistlichen zu strenger Askese und Weltentsagung in den Klöstern gefordert wurde.
Aber ausgerechnet an jenem Ort, an dem die heilige Walburgis ihr Erdendasein beschloss und von dem ihre Verehrung ihren Anfang genommen hatte, nämlich in Heidenheim, saßen zu Beginn des 12. Jahrhunderts, in einer Zeit gesteigerten Glaubensdranges, nicht strenggläubige, dem frommen Asketentum ergebene Mönche, sondern Weltgeistliche, Kanoniker, die verheiratet waren, den Klosterbesitz vorwiegend als Versorgungsstätte für ihr Leben betrachteten, und die Verehrung der heiligen Walburgis und des heiligen Wunibald nicht mehr mit der Inbrunst pflegten, wie es eigentlich geschehen sollte. Das gemeinsame Leben war aufgegeben worden, siebzehnjährige Knaben hatten die Pfründen käuflich erworben. Die Klostergebäude verwahrlosten.
Diese Verweltlichung im Kloster Heidenheim, von dem die Verehrung der heiligen Walburgis und des heiligen Wunibald ihren Anfang genommen hatte, musste im Zeitalter Bernhards von Clairvaux, wo doch die Kirche vom Geiste des Mönchtums empor getragen wurde, die auf strenge Gläubigkeit und mönchische Enthaltsamkeit bedachten Reformbischöfe und Äbte schmerzhaft berühren. Bischof Gebhard II. von Eichstätt (1125-1149), ein Anhänger jener strengen kirchlichen Richtung, der gegen die sittlichen Missstände der Geistlichkeit in seinem Bistum energisch ankämpfte, dessen Berater Erzbischof Konrad von Salzburg - er stammte aus dem Geschlecht der Grafen von Abenberg - und Bischof Otto von Bamberg und Abt Adam von Ebrach waren, fasste schon 1139 den Entschluss, den verwilderten Zustand des Kollegiatstifts Heidenheim zu beseitigen und dort das Mönchsleben wieder einzuführen. Die Kanoniker, die in ihren weltlichen Verwandten aus dem heimischen Adel eine starke Stütze fanden, glaubten dadurch ihre Pfründen zu verlieren und an den Bettelstab gebracht zu werden. Sie leisteten den Reformbestrebungen energischen Widerstand, beeinflussten den staufischen König Konrad in ihrem Sinne, gewannen noch Bischof Burchard von Eichstätt (1149-1153) für ihre Sache und gaben das Kloster nicht frei. Es kam zu einem heftigen Streit, der sich über 16 Jahre hinzog, in dem auch die Exkommunikation verhängt wurde und die gepanzerte Faust der weltlichen Herrscher eingreifen musste, um den kirchlichen Frieden in Heidenheim wieder herzustellen. Erst als Kaiser Barbarossa eingriff und den Eichstätter Bischof Burchard im Einvernehmen mit den päpstlichen Legaten von seinem Bischofsstuhl entfernen ließ, kehrte der kirchliche Friede in Heidenheim wieder ein. Aus dem Stift von Säkularkanonikern wurde ein Reformkloster nach der Regel des heiligen Benedikt.
In dieser Zeit eines kirchlichen Sturmes kam ein Mann namens Adelbert nach Heidenheim, der schon ein bewegtes Leben hinter sich hatte. Erzogen wurde er in der Domschule zu Bamberg, in der zu jener Zeit die hohen Geistlichen, aber auch die Kinder vornehmer Laien herangebildet wurden. Die Bamberger Domschule blieb lange Zeit bevorzugte Erziehungsstätte des Hochadels. Wenn auch Adelbert wohl nicht aus einer der vornehmsten Adelsfamilien stammte, so bedeutete doch seine Erziehung in der Domschule zu Bamberg hervorragende Bildung für ihn. Wie einst der Gründer des Klosters Heidenheim Wunibald, durch seine langjährige Anwesenheit in Rom, durch seine weiten Reisen und als Schüler des heiligen Bonifatius sich eine hervorragende Bildung aneignete, so dürfen wir dies auch von dem Wiederbegründer des Klosters, von Abt Adelbert, annehmen. Die wissenschaftliche Diskussion in der Domstadt Bamberg stand damals auf beachtlicher Höhe und wurde nicht nur von der Domschule getragen, sondern auch von den Mönchen des St. Michaelsklosters, die dort 1112 die Hirsauer Reform einführten und in der Persönlichkeit Wolframs einen energischen Abt hatten. In Bamberg trafen sich damals Angehörige verschiedener geistlicher Institutionen, führten wissenschaftliche Gespräche, die sich natürlich in erster Linie um die rechte Form des Glaubens bewegten. Sie schrieben ihre Auffassungen in Büchern nieder. Dort hatte z.B. um 1099 Frutolf, Prior am St. Michaelskloster, die bedeutendste Weltchronik des Mittelalters geschrieben. Bischöfe, Äbte, Kleriker und vornehme Laien wurden dort als Führungskräfte für das Reich erzogen.
Zu der Zeit, da Abt Adelbert seine Ausbildung an der Domschule in Bamberg erhielt, hatte Otto I., der Heilige, den Bamberger Bischofsstuhl inne. In seiner Persönlichkeit vereinigten sich Weltkenntnis und diplomatisches Geschick, Tatkraft und praktischer Blick in seltenem Maße mit einer tief innerlichen Auffassung seines geistlichen Amtes. Bamberg wurde Zeuge von Ottos großen Missionsreisen nach Pommern um 1120, es feierte ihn als den Apostel dieses Landes nach seiner Rückkehr, es erlebte die überall wache Fürsorge dieses geschickten Organisators, dessen gesundes Wirtschaftsdenken ihn zum weit über die Grenze seines Bistums hinaus gesuchten Berater bei der Gründung neuer Klöster und Kirchen werden ließ. Bischof Otto von Bamberg war auch einer jener Männer, die den Anstoß zur Reform des Klosters Heidenheim gaben. Otto hatte in jungen Jahren der königlichen Kapelle angehört und stand in der Nähe des Kaisers Heinrich IV (1056-1106), der ihn mit der Aufsicht über den Dombau zu Speyer betraute und ihn unter seine Kapläne einreihte. Seine Tätigkeit am Dombau zu Speyer übte einen nachhaltigen Einfluss auf seine späteren Gründungen aus, vor allem was die Gestaltung der Klosterbauten anbelangte. In der Domschule zu Bamberg mag nun auch unser Adelbert mit den Baugewohnheiten des großen Bischofs Otto vertraut geworden sein. Außerdem konnte Adelbert in Bamberg den 1121 von Otto geweihten Bau der Klosterkirche St. Michael studieren, der in der Übernahme von Hirsauer Bauformen am weitesten ging.
Als Adelbert die Domschule durchlaufen hatte, lebte er zunächst als Kanoniker am Dom zu Bamberg. Doch sein Dasein als Weltgeistlicher behagte ihm nicht in einer Zeit gesteigerten Glaubensdranges, in der die Kirche vom Geiste des Mönchtums geführt wurde. Vielleicht war ihm auch die Verwaltungsarbeit als Kanonikus am Dom zuwider. So legte er das Ordensgewand an und trat als Mönch in das Kloster Paulinzella bei Rudolstadt in Thüringen ein. Die dortige Klosterkirche war nach Hirsauer Vorbild im romanischen Stile erbaut und 1124 geweiht worden. Ein Abt dieses Klosters war als Anführer eines Steinmetztrupps aus Hirsau gekommen. Die Ruine des Klosters Paulinzella gilt noch heute als ein großartiges Denkmal der Hirsauer Baukunst, ein Werk von Ernst und Würde, das die Romantiker begeisterte und Schiller und Goethe bewunderten. An diesem edlen Werk konnte Adelbert als Mönch in Paulinzella die Hirsauer Baugepflogenheiten gut studieren und vertiefen.
In einer kritischen Stunde des Klosters Michelfeld bei Auerbach in der Oberpfalz wurde Adelbert zur Leitung dieses Klosters berufen. Anscheinend hatte der ehemalige Domschüler aus Bamberg und spätere Mönch in Paulinzella sich bei der Führung dieses von Otto von Bamberg im Veldener Forst gegründeten Klosters Michelfeld bewährt, denn man fand ihn jetzt für würdig, nunmehr auch die schwierige Heidenheimer Reform durchzuführen. Um 1150 wurde er von Bischof Eberhard von Bamberg dazu ausersehen, den päpstlichen Auftrag auszuführen, die Kanoniker aus dem Kloster Heidenheim zu vertreiben und das Ordensleben dort wieder herzustellen. Adelbert begab sich mit einigen Mönchen unter dem Schutze des Bischofs Burchard von Eichstätt und des Klostervogtes Adelbert von Truhendingen nach Heidenheim. Dort fand er die Klostergebäude in einem trostlosen Zustand. Der Widerstand der Kanoniker, die ihre Pfründe nicht aufgeben wollten, war so heftig, dass Adelbert die größten Feindseligkeiten erfuhr. Adelbert eilte schließlich selbst nach Rom, um sich vom Papst Schutzprivilegien für sein Kloster Heidenheim zu holen. Doch auch die Romfahrt konnte die Haltung der widerspenstigen Kanoniker nicht ändern. Abt Adelbert konnte das Kloster nicht betreten und musste im Haus des Pfarrers Cunrad bei der Pfarrkirche St. Walburgis (abgebrannt 1552 am heutigen alten Friedhof) Unterkunft beziehen. Pfarrer Cunrad bekam nun auch den Zorn der Feinde der Klosterreform zu spüren. Der Rompilger Adelbert hatte sich in der Nähe der heute verschwundenen Walburgiskirche eine eigene Hofstätte befestigen lassen, um einigermaßen sicher leben zu können. Inzwischen hatte Bischof Eberhard von Bamberg die Exkommunikation über die schlimmsten Feinde der Reform verhängt. Doch sie bewirkte nur, dass die Feindseligkeiten sich noch steigerten. Da die Kanoniker, gestützt auf die weltliche Macht ihrer adeligen Verwandten das Kloster nicht räumten und an eine Durchführung der Reform nicht zu denken war, erbat sich Adelbert die Erlaubnis, Heidenheim verlassen zu dürfen. Er kehrte mit seinen Mönchen in das Kloster Michelfeld zurück.
Inzwischen waren jedoch im Reich und im Bistum Eichstätt entscheidende Veränderungen eingetreten. Kaiser Barbarossa setzte im Einvernehmen mit den päpstlichen Legaten den Bischof Burchard ab (1153). Seine Schwäche und Unfähigkeit in der Angelegenheit der Heidenheimer Reform, sowie die schlimmen sittlichen Zustände in seiner Diözese mögen die Veranlassung zu seiner Entfernung vom Bischofsstuhl gewesen sein. Die Heidenheimer Reform war aber inzwischen zu einer kirchenpolitischen Angelegenheit geworden, die weite Kreise erfasste und Papst und Kaiser zum Einschreiten bewog. Als Nachfolger auf den Eichstätter Bischofsthron wurde von Kaiser Barbarossa ein gewisser Konrad ausersehen, der zuvor Abt im staufischen Hauskloster Würzburg gewesen sein soll, das von Barbarossas Vetter, dem Herzog Friedrich von Schwaben bevogtet wurde. Konrad war ein treuer, ja begeisterter Anhänger Barbarossas. Der Kaiser schätzte seine Fähigkeiten und übertrug ihm wichtige politische Sendungen. Die Heidenheimer Reform und das durch sie wiederbegründete Kloster hat der energische und tatkräftige Gefolgsmann Barbarossas von Anfang an eifrig gefördert. Abt Adelbert wurde unterdessen zu den in Deutschland eingetroffenen päpstlichen Legaten nach Bamberg gerufen. Diese forderten ihn auf, wieder nach Heidenheim zurückzukehren und drohten ihm sogar die Exkommunikation an, denn Adelbert hatte Einwände erhoben. Diesem energischen Einsatz der päpstlichen Legaten und der Macht des Kaisers wagten sich nun die Kanoniker nicht länger zu widersetzen. Im Jahre 1155 stiftete Bischof Konrad Frieden zwischen den Kanonikern und den unter Abt Adelbert stehenden Mönchen, die aus den Reformklöstern Michelsberg in Bamberg, Banz und Kastl in der Oberpfalz nach Heidenheim gekommen waren. Die Kanoniker wurden für ihre Pfründen entschädigt, die Reformmönche konnten in das Kloster unter Führung Abt Adelberts einziehen. Heidenheim war wieder Benediktinerkloster geworden. Die Augen der damaligen Welt waren für einen Augenblick nach Heidenheim gerichtet. Steinerner Zeuge dieser Heidenheimer Reform ist noch heute der romanische Teil der ehemaligen Klosterkirche.