im Auftrag der Kirchengemeinde und des Dekanats Heidenheim heiße ich Sie herzlich willkommen. Sie sind hier nicht in der großen Stadt Heidenheim in Baden- Württemberg, sondern in dem bescheidenen Markt Heidenheim im Hahnenkamm im südlichen Mittelfranken. Diese Kirche hier ist heute die evangelische Pfarrkirche von Heidenheim. Sie war bis zur Reformation Klosterkirche. Hier in Heidenheim stand einmal ein altes Benediktinerkloster. Die Wirtschaftsgebäude, die zu so einem Kloster gehörten, die Scheunen und Ställe und Speicher sind längst verschwunden. Erhalten blieb die ehemalige Klosterkirche mit den Mönchswohnungen und dem Kreuzgang, in den wir dann zum Schluss noch herausgehen werden. Das Kloster Heidenheim selbst ist sehr alt und wurde schon vor etwa 1250 Jahren von Schülern und Blutsverwandten des heiligen Bonifatius gegründet. Das sagt man heute so vor sich hin, das bedeutet aber wohl etwas in der Geschichte der Germanenmission, denn der heilige Bonifatius und seine Gefolgsleute gelten uns modernen Menschen, ob wir nun der katholischen oder der evangelischen Konfession angehören, als jene Gestalten, die zu den Mitbegründern des Christlichen Abendlandes gerechnet werden müssen, denn sie haben das heidnische und halbheidnische Germanentum herangeführt an die romverbundene Landeskirche.
Und dieses romverbundene Christentum wurde unter dem Schutze des
karolingischen Königshauses zur geistigen Substanz des
christlichen Abendlandes und da ist es nun nicht zuviel gesagt, wenn
wir behaupten: Auch hier in Heidenheim stehen wir an einer der vielen
Brunnenstuben des christlichen Abendlandes. Der Mann, der zusammen mit
seinem Bruder das Kloster Heidenheim begründete, hieß
Wunibald.
Wer war Wunibald? Wunibald war der Sohn eines angelsächsischen
Adeligen, kein Iroschotte, wie man auch bisweilen hört. Heute
würden wir sagen: Wunibald war ein Engländer. Doch für
die heutige Zeit passt das nicht mehr ganz gut, weil sich ja die
späteren Nationen England, Frankreich und Deutschland aus
verschiedenen Stammeselementen heraus entwickelt haben. Also
müssen wir besser sagen: Wunibald war ein Angelsachse, ein
Nachfahre jener Sachsen, die nach dem Abzug der Römer vom
deutschen und dänischen Flachland aus hinübergezogen sind
auf die Insel England, sie besiedelt und dort ihre Adelsherrschaften
errichtet haben.
Nun müssen wir uns freilich die Frage vorlegen: Wie kommt vor 1250 Jahren ein Mann aus dem damals so fernen England dazu, hier in dieser entlegenen Gegend des Hahnenkamms - so nennt man heute den südwestlichen Eckpfeiler der Fränkischen Alb um Heidenheim, - wie kommt der Mann dazu, hier ein Kloster zu gründen? Dazu muss man wissen, dass die Angelsachsen, also die Germanen in England, ihr Christentum nicht etwa vom nahen Irland oder von Frankreich oder von Dänemark aus, sondern unmittelbar von Rom aus erhalten haben. Rom war die Mutterkirche der jungen, aufstrebenden angelsächsischen Tochterkirche in England gewesen. Denn schon im Jahre 596 sandte Papst Gregor der Große seinen Abt Augustin vom Sankt Andreaskloster in Rom mit 40 Mönchen zu den Angelsachen, zu den Germanen in England, um sie für das Christentum zu gewinnen. Den Anstoß dazu soll dem Papst der Anblick angelsächsischer Jünglinge auf dem Sklavenmarkt in Rom gegeben haben.
Diese Mission, gerichtet von Rom aus unmittelbar in den Nordwesten Europas auf die Insel England, hatte Erfolg und in England entwickelte sich unter den Germanen eine lebendige, jugendfrische Tochterkirche von Rom, ausgestattet mit dem geistigen Reichtum der Mutterkirche in Rom. Diese junge angelsächsische Tochterkirche von Rom war dann in der Lage, jene geistlichen und geistigen Kräfte zu entfalten, die später unter der Führung des heiligen Bonifatius und seiner Gefolgsleute, zu denen auch die Gründer des Klosters Heidenheim gehörten, zu uns auf den Kontinent herüberströmten, das hier schon vorhandene, aber doch sehr stark noch mit heidnischen Vorstellungen durchwobene Christentum läuterten und ganz im Sinne Roms ausrichteten. Es hat die Historiker immer wieder beeindruckt, wie rasch und wie tief die Verehrung des Apostelfürsten Petrus ins angelsächsische Wesen einging.
Für einen vornehmen Angelsachsen der damaligen Zeit war es daher geradezu Pflicht, im Leben einmal zur Mutterkirche in Rom, zum Grab des heiligen Petrus, zu wallfahren. In Scharen sind damals die Angelsachsen in die heilige Stadt gepilgert, haben Handschriften in ihre Heimat mitgebracht und so das geistige Band zu ihrer Mutterkirche aufrechterhalten.
Diese angelsächsischen Missionare, die dazumal von England auf den Kontinent zu uns herüberkamen, huldigten einem Leitbild, einem Ideal: dem Ideal der asketischen Heimatlosigkeit. Was ist darunter zu verstehen? Asketische Heimatlosigkeit bedeutete für die angelsächsischen Missionare etwa: Wenn du Vater und Mutter, Heimat und Vaterland verlässt und ziehst in die Fremde unter die Heiden und verkündigst ihnen die wahre Lehre von Jesus Christus, und du erleidest gar den Märtyrertod wie der heilige Bonifatius z.B., so winkt dir als Lohn die Krone des ewigen Lebens.
Dieses Ideal der asketischen Heimatlosigkeit in der Hoffnung auf die Krone des ewigen Lebens erfasste nun auch die beiden Brüder Willibald und Wunibald. Zusammen mit ihrem schon alternden Vater - die Legende hat ihm den Namen Richard gegeben und ihn als angelsächsischen König erklärt - unternahmen sie im Sommer 720 eine Pilgerreise nach Rom. Das war dazumal fast ein Lebenswagnis gewesen. Der alternde Vater überstand auch die Strapazen der Reise nicht. Er starb unterwegs und wurde in der Stadt Lucca in Italien im Kloster zum heiligen Frigidiano begraben. Dort ist heute noch sein Grabmal zu sehen. Die beiden Brüder Willibald und der um ein Jahr jüngere Bruder Wunibald zogen weiter und trafen am Martinstag 720 in der heiligen Stadt Rom ein. Während Willibald, der ältere Bruder, sich nur 2 Jahre in der heiligen Stadt aufhielt und seine asketische Heimatlosigkeit durch eine Reise in das Heilige Land noch steigerte, blieb Wunibald, unser Klostergründer und erster Abt in Heidenheim, 18 Jahre in einem Kloster in der heiligen Stadt Rom. Was hat das für ihn bedeutet? Zunächst konnte er sich dort eine hervorragende Bildung aneignen und so müssen wir uns den heiligen Wunibald nicht als ungebildeten Einsiedler, als so eine Art Waldbruder, vorstellen, sondern als einen feingebildeten, asketisch lebenden Menschen, der über eine hervorragende Bildung und gute politische Beziehungen zum fränkischen Adel über seinen Blutsverwandten, dem heiligen Bonifatius, verfügte. Und zum andern hat dieser lange Aufenthalt bei der Mutterkirche in Rom bedeutet, dass er die vorbildhaften, geläuterten Formen des römischen Landeskirchentums kennen lernte und den geistigen Reichtum dieser Kirche, den er dann ausstrahlte, als er später nach Heidenheim kam.
Im Jahre 738 kam der heilige Bonifatius als Missions-Erzbischof von Mainz in die heilige Stadt und traf nun dort seinen Blutsverwandten Wunibald. Den kannte er noch aus seiner angelsächsischen Heimat. Vielleicht war Wunibald der Neffe des heiligen Bonifatius gewesen. Ein genaues Verwandtschaftsverhältnis lässt sich heute nicht mehr feststellen. Bonifatius forderte nun seinen Blutsverwandten Wunibald auf, das Kloster in Rom zu verlassen und mit ihm in die Heidenmission nach Deutschland, nach Germanien, zu kommen. Wunibald folgte dem Ruf seines großen Meisters und Lehrers Bonifatius nach Deutschland. Im thüringischen Missionsfeld des heiligen Bonifatius, in Sülzenbrücken bei Arnstadt, in der Nähe von Erfurt, wurde Wunibald zum Priester geweiht und zunächst über sieben Pfarreien gesetzt. Ein andermal treffen wir Wunibald in der Mission im Gau Nordfilusa. Darunter haben wir uns wohl die Gegend um Vilshofen bei Amberg vorzustellen. Dann kam es zum Krieg zwischen dem Bayernherzog Odilo und den karolingischen Königen Pipin und Karlmann. Wunibald musste fliehen und begab sich wieder zu seinem großen Meister und Lehrer Bonifatius in die weinreiche Stadt Mainz. Dort zeichnete er sich durch hervorragende Predigten an den fränkischen Adel aus.
Auf die Dauer erschien ihm allerdings das Leben in der Stadt mit seinen asketischen Idealen nicht verträglich und so begab er sich im Frühjahr 752 zu seinem Bruder Willibald nach Eichstätt. Dieser war nach langem Aufenthalt im Heiligen Land zurückgekehrt und zunächst in das berühmte Kloster Monte Cassino eingetreten, das seit 140 Jahren in Trümmern lag und half es wieder innerlich aufbauen. Dort blieb er zehn Jahre und erreichte die Würde eines Dekans. Eines Tages erreichte ihn auch die Bitte des heiligen Bonifatius, er möge sich wie sein Bruder Wunibald nach Deutschland in die Mission begeben. Vom Papst in Rom ließ sich Willibald den Auftrag zur Mission erteilen und begab sich nach Deutschland zum bayerischen Herzog Odilo und zu dem Edlen Suidger. Dieser schenkte das Gebiet um Eichstätt zu seinem Seelenheil an Bonifatius, der Willibald in Eichstätt zum Priester weihte. Eines Tages befahl Bonifatius, dass er zu ihm nach Thüringen komme. In demselben Sülzenbrücken, wo der jüngere Bruder Wunibald als Priester tätig war, wurde der ältere Bruder Willibald von Bonifatius zum Bischof geweiht. Einige Forscher glauben, Willibald wäre zuerst 741 zum Bischof von Erfurt geweiht worden. Diese Bistumsgründung kam nicht zustande, dann wurde er 745 Bischof von Eichstätt. Zu ihm ging nun im Frühjahr 751 Wunibald von Mainz aus nach Eichstätt. Beide Brüder Willibald und Wunibald kamen nun im Frühjahr 752 nach Heidenheim und gründeten hier das Kloster Heidenheim. Wunibald wurde erster Abt des Klosters. Er blieb es 10 Jahre und starb am 18. Dezember 761 und als er gestorben war, wurde er irgendwo im Boden dieses Gotteshauses bestattet. Die Stelle seiner Erstbestattung weiß man nicht mehr.
Nach Wunibalds Tod eilte seine Schwester Walpurgis nach Heidenheim. Wir wissen nicht, ob sie unmittelbar von England hierher gekommen ist oder ob sie schon vorher in einem angelsächsischen Kloster in Deutschland weilte. Möglich wäre. dass sie schon im Kloster Tauberbischofsheim als Nonne tätig war, wo der heilige Bonifatius ein Frauenkloster gegründet hatte, das die heilige Lioba leitete, eine fein gebildete Nonne aus England, die auf dem Petersberg in Fulda begraben liegt. Wir wissen es nicht. Walpurgis kam aber in der Weihnachtswoche 761 nach Heidenheim, übernahm die Leitung des Klosters ihres Bruders Wunibald und verwandelte es in ein Doppelkloster nach angelsächsischem Vorbild. Doppelklöster sind für das Mittelalter nichts Besonderes. Es gab deren sehr viele, aber Heidenheim war nach Professor Theodor Schieffer das einzige Doppelkloster der angelsächsischen Mission. In England waren Doppelklöster die Regel. In ihnen wurde der angelsächsische Adel erzogen, im Missionsfeld auf dem Kontinent jedoch eine Ausnahme und diese war Heidenheim. Vom Erdendasein der heiligen Walpurgis wissen wir im Gegensatz zu ihrer weit verbreiteten Verehrung als Heilige sehr wenig. Wir wissen nur, dass die heilige Walpurgis nach dem Tod ihres Bruders Wunibald das Kloster übernahm und es als Doppelkloster leitete.
Am 24. September 777 wurde Wunibalds Leib aus der Stätte seiner Erstbestattung gehoben und in feierlicher Form in Gegenwart seines Bruders Willibald, des ersten Bischofs von Eichstätt, und in Gegenwart seiner Schwester Walburgis und der hohen Eichstätter Geistlichkeit und des gesamten Kirchenvolkes in feierlicher Form in einer Unterkirche, in einer Krypta, im Ostchor beigesetzt. Diese Hebung seines Leibes und Wiederbeisetzung in feierlicher Form bedeutete seine Heiligsprechung. Es konnte dazumal jeder Bischof einen Menschen heilig sprechen. Hier in Heidenheim hat der ältere Bruder Willibald als erster Bischof von Eichstätt seinen Bruder Wunibald heilig gesprochen.
Die heilige Walpurgis starb wahrscheinlich am 25. Februar 779 hier in Heidenheim und als sie gestorben war, wurde sie wohl da beerdigt, wo man im frühen 13. Jahrhundert dieses eindrucksvolle Walpurgis-Gedächtnisgrabmal errichtete. Diese würfelförmige Kapelle mit den romanischen Säulen und der zinnenartigen Bekrönung, ein Drittel im nördlichen Seitenschiff und zwei Drittel im Hauptschiff, das ist das Walpurgis Gedächtnis-Grabmal. Warum sage ich Gedächtnis-Grabmal? Weil die Heilige nur etwa 100 Jahre hier in Heidenheim unbeachtet ruhte. Schon etwa um das Jahr 790 traten hier in Heidenheim große Veränderungen ein. Der Nachfolger Willibalds in Eichstätt, Bischof Gerhoh (787-806), ein mächtiger Mann, der in den Kreis der Vertrauten Karls des Großen eingebunden war, verwandelte das angelsächsische Doppelkloster Heidenheim in ein Stift von Weltgeistlichen (Säkular-Kanonikern). Nicht mehr fein gebildete angelsächsische Mönche und Nonnen, sondern einheimische Weltgeistliche besiedelten nun das Kloster Heidenheim.
Etwa 100 Jahre ruhten die Gebeine der heiligen Walpurgis, wenig beachtet, hier in Heidenheim. Dann wurde um das Jahr 870 eine neue Stiftskirche hier in Heidenheim gebaut. Bei diesem Kirchenneubau - so heißt es in einem alten Bericht - betraten die Bauleute das Grab der heiligen Walpurgis mit ihren schmutzigen Füßen. Diesen Bericht müssen wir so deuten, dass Walpurgis, so lange sie hier in Heidenheim ruhte, noch nicht als Heilige galt. Und nun stürzte noch die Nordmauer der neuen Stiftskirche ein. Dieses Unglück des Mauereinsturzes wirkte auf die Menschen der damaligen Zeit ungeheuer und wurde von ihnen als ein Gottesgericht empfunden, weil die Bauleute das Grab Walpurgens nicht in gebührender Weise beachteten. Bischof Otgar (847-880) sandte hohe Geistliche aus Eichstätt nach Heidenheim, ließ unter deren Leitung die Kirche wieder herstellen und die Gebeine Walpurgens von Heidenheim nach Eichstätt überführen. Das geschah in den Jahren 870 - 879, ein genaues Jahr lässt sich nicht mehr festlegen. Die Überführung geschah in feierlicher Form und dürfte den Beginn ihrer Verehrung als Heilige bedeutet haben. In Eichstätt wurde die Heilige zunächst in der Heilig-Kreuzkirche beigesetzt. Später wurde über ihrem Grab ein Kloster gegründet, das Walburgiskloster, das heute noch in Eichstätt besteht und die bedeutendste Verehrungsstätte der Heiligen bedeutet. Wahrscheinlich am 1. Mai 893 geschah dann etwas, was im Mittelalter mit vielen Heiligen geschah: Ihr Leib wurde geteilt, denn nach mittelalterlicher Vorstellung ist der Leib eines Heiligen teilbar, aber die Seele ist unteilbar und wohnt als Ganzes in jedem Teil des Körpers.
Wenn nun in einer Kirche auch nur eine kleine Reliquie vom Körper des Heiligen vorhanden ist, so ist der Heilige doch in seiner ganzen Person im Gotteshaus zugegen und kann angerufen werden. So wurde auch der Leib der heiligen Walpurgis in Eichstätt geteilt und Teile davon am 1. Mai 893 nach Monheim bei Donauwörth überführt Bei der Überführung und Niederlegung von Teilen ihrer Gebeine von Eichstätt nach Monheim, wo im Mittelalter ebenfalls ein St. Walpurgiskloster bestand, ereigneten sich außerordentliche Wunder. Die hat ein Mönch Wolfhard von Herrieden aufgeschrieben und diese Wunder der heiligen Walpurgis trugen nun dazu bei, dass der Kult und die Verehrung der heiligen Walpurgis, getragen durch glaubenseifrige Bischöfe, Äbte und Mönche, hinaus wanderte über den gesamten nördlichen abendländischen Kulturkreis. Und wenn wir noch heute in Holland und Belgien, in Gent und Antwerpen und Brügge als Hauptkirchen Walburgiskirchen vorfinden, wenn wir in Dänemark, Schweden und Norwegen, in Finnland und Estland, in Böhmen, Mähren, in Österreich, in der Schweiz, selbstverständlich auch bei uns in Deutschland, in der Kirchenprovinz Mainz und Köln etwa insgesamt 500 Kirchen und Klöster zählen können, die entweder die Heilige als Schutzherrin verehren, Reliquien von ihr niedergelegt haben oder in der Liturgie in besonderer Weise auf die Heidenheimer Äbtissin eingehen, können wir uns einen Begriff machen, was die heilige Walburgis als Leitbild für die Gläubigen des Mittelalters und auch noch heute bedeutet. "Die Welt des Mittelalters wird durchzuckt vom geheimnisvollen Wetterleuchten des Wunders". Dies soll uns bewusst werden, wenn wir hier an den Gedächtnis-Grabstätten des heiligen Wunibald und der heiligen Walburgis stehen. Das war die hohe Zeit der Angelsachsen hier in Heidenheim. Der Geist des heiligen Bonifatius und seiner Blutsverwandten Willibald, Wunibald und Walburgis ist auch heute noch hier in Heidenheim lebendig.
Woher wissen wir das alles? Unter Walburgens Leitung weilte im Doppelkloster Heidenheim eine fein gebildete, schreibkundige Nonne. Sie galt bis 1931 als die "unbekannte Nonne von Heidenheim" und verfasste hier im Doppelkloster Heidenheim um 780 zwei bedeutende Schriften: "Das Leben des heiligen Willibald" und "Das Leben des heiligen Wunibald". Beide Schriften schildern die Entwicklung der beiden Heiligen von der Wiege bis zum Grabe, vor allem den Weg der beiden bis zur Erlangung der Krone der Heiligkeit. Dabei wurden vor allem Gedanken aus früheren Heiligenleben eingeflochten. Von Land und Leuten schreibt die Nonne nicht viel und was sie bringt, beruht auf schablonenhaften Vorbildern, wie es damals eben üblich war. Für die damalige Zeit bedeuteten die beiden Schriften eine hervorragende Leistung. Aus Bescheidenheit verschwieg die Nonne ihren Namen, verbarg ihn aber in einer Geheimschrift. 1931 gelang es dem Schriftkundler Bernhard Bischoff ihren Namen zu entziffern. Sie hieß Hugeburg und war eine Verwandte der heiligen Walburgis.
Nach dem Tode Willibalds, des ersten Bischofs von Eichstätt, folgte um 787 Bischof Gerhoh (787-806?). Er schien ein mächtiger adeliger Herr gewesen zu sein. Heute gilt er in der Forschung als ein Mann, der in den Verwandtenkreis Kaiser Karls des Großen eingebunden war. Seine Sorge galt vor allem der Erweiterung der wirtschaftlichen Basis seiner Bischofskirche in Eichstätt, die von Anfang an mit Gründungsgut nicht allzu reich ausgestattet war. Dazu musste nun sein Doppelkloster Heidenheim beitragen. Er löste es auf und verwandelte es in ein Stift von Weltgeistlichen. Ob die Angelsachsen Wunibald und Walpurgis nach der Benediktinerregel oder nach einer freieren Lebensform lebten, wird neuerdings in Frage gestellt. Jedenfalls beschnitt Bischof Gerhoh das ehemalige größere Klostergut und verwendete einen Teil desselben zur Ausstattung seiner Bischofskirche in Eichstätt. Das nunmehr eichstättische Bischofsgut in Heidenheim wurde in einem Fronhofsverband mit Meierhof, untergeordneten Hufen und Hofstätten organisiert und an unfreie Grundholden zur Bewirtschaftung ausgegeben, die dafür Abgaben in Naturalien und Geld zu erbringen hatten. Den Kanonikern (Weltgeistlichen) wurde nur ein Teil des ehemaligen Klostergutes überlassen, das durch einen großen Bauhof mit Knechten, Mägden und Tagwerkern in Eigenbau betrieben wurde. Die vornehmen Kanoniker lebten in den Anfangsjahren wohl noch im gemeinsamen Leben beisammen, später wurde es aufgegeben und jeder lebte nun in einem eigenen Haus. Doch über die Zustände im Stift Heidenheim erfahren wir nichts. Erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts fließen die Quellen wieder reichlicher und berichten von einem heruntergekommenen Stift, das der Reform bedürftig war.
Wir machen jetzt in der Geschichte des Klosters einen großen
Sprung und betrachten nun den Bau der romanischen Klosterkirche. Die
stammt nicht mehr aus der hohen Zeit der Angelsachsen hier in
Heidenheim, sie wurde aber auch in einer bedeutenden Epoche der
deutschen Geschichte errichtet, in der frühen Stauferzeit, als
Kaiser Barbarossa in Deutschland regierte. Wie kam es nun zum Bau
dieser Kirche? Das mönchische Leben lag hier in Heidenheim in der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts danieder. Die
Klostergebäude waren verfallen, die Türme eingestürzt,
die Mönche huldigten nicht mehr den alten Idealen der
persönlichen Armut, der Keuschheit und des Gehorsams
gegenüber dem Vorsteher des Klosters. Das gemeinsame Leben der
Brüder war aufgegeben worden, manche wohnten in Hofstätten
mit ihren Verwandten im Klosterbereich. Und was in den Augen der
Reformer der Kirche damals das Schlimmste war:
Siebzehnjährige Knaben erkauften sich die Pfründen des
Klosters mit Geld, sie waren Simonisten. Und das war nun in einer
Zeit, als unsere Kirche von einer neuen Welle gesteigerten
Glaubensdranges von dem Kloster Cluny in Burgund über das
Schwarzwaldkloster Hirsau erfasst wurde, ein Stein des Anstoßes,
dass an dieser geheiligten Stätte der angelsächsischen
Mission in Heidenheim das Kloster nicht mehr vom Geiste des
Mönchtums getragen wurde.
So fasste der den Reformgedanken anhängende Bischof Gebhard II. von Eichstätt (1125-1145), ein Angehöriger jener Grafenfamilie, die sich später von Hirschberg nannte, den Entschluss, das heruntergekommene Stift der Weltgeistlichen in Heidenheim in ein Reformkloster zu verwandeln.
Seine Berater waren Bischof Otto der Heilige von Bamberg, ein Angehöriger des staufischen Königshauses, Erzbischof Konrad von Salzburg, aus dem Geschlechte der Grafen von Abenberg, und Abt Adam vom Zisterzienserkloster Ebrach. Doch dieser Reformversuch war leichter geplant als ausgeführt. Die Weltgeistlichen und ihre einflussreichen adeligen Verwandten leisteten Widerstand. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen in Heidenheim, die sogar Kaiser und Papst zum Handeln bewegten. und sich 30 Jahre lang hinzogen. Erst als Kaiser Barbarossa in Zusammenwirken mit den päpstlichen Legaten in den Streit eingriff, konnte der Friede in Heidenheim wieder hergestellt und das Stift von Weltgeistlichen in ein Benediktdinerkloster verwandelt werden. Als Folge der Wiederherstellung des Klosters entstand in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts diese vorwiegend romanische Klosterkirche hier in Heidenheim. In der Spätgotik, im 14. und 15. Jahrhundert, als man mehr Licht in den verhältnismäßig dunklen romanischen Raum hereinholen wollte, brach man vorne im Osten, wo heute der gotische Chor steht, die drei Apsiden(Rundungen) der romanischen Klosterkirche ab und hängte den hohen Gotischen Chor an. Und so haben wir heute hier in Heidenheim das edle Beisammen sein von hoher Romanik im Langhaus, kenntlich an den Rundbogen die hier die Langhauswände tragen, und hoher Gotik, vorne im Chor, kenntlich an den spitzbogenartig nach oben strebenden Fenstern. Licht aus himmlischen Höhen flutet nun durch die hohen gotischen Fenster herein und vereinigt sich hier in schönem Scheinen mit dem geheimnisvollen Dunkel der Romanik und das gibt dem Ganzen diesen großartigen Raumeindruck.
Das Reformkloster Heidenheim bestand noch bis zur Reformation. Es gelangte aber schon um 1400 in die Hände der Burggrafen von Nürnberg. die die weltliche Schutzherrschaft über das Kloster und Teile seiner Besitzungen übernommen hatten. Im Hohen Mittelalter lag die weltliche Herrschaft in den Händen der Grafen von Truhendingen, die in dem Waldgebiet von Hohentrüdingen eine mächtige Vogteiburg errichteten, von der heute noch der Bergfried von Hohentrüdingen erhalten blieb. Die sittlichen Zustände am Ende des Klosters vertrugen sich nicht mehr mit dem Geiste der Reformationszeit und so geriet um 1537 das Kloster völlig in die Herrschaft der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Aus dem Kloster wurde ein weltliches Klosterverwalteramt.
Fragen wir nun am Schluss: Was ist nun heute an der ehemaligen Klosterkirche Heidenheim schön? Ist sie überhaupt schön? Wenn wir heute im Volksmund in Bayern von einer schönen Kirche sprechen, so denken wir in erster Linie an eine unserer vielen schönen Barockkirchen. Die sind alle in Gold und Farbe getaucht. In einer Barockkirche hat man fast den Himmel aufgerissen und die Schönheit des Himmelsglanzes heruntergeholt auf die Erde, um sie schon zu Lebzeiten den Menschen vor Augen zu führen. Ganz anders ist das hier in Heidenheim in der ehemaligen Klosterkirche. Sie erfreut nicht durch große Bildwerke und Stuckdekorationen, hier hat man den Himmel nicht auf die Erde heruntergeholt, im Gegenteil: Hier blieb der Himmel stille Sehnsucht der Menschen jenseits des Todes. Die schöne Regelmäßigkeit und Einfachheit, mit der sich hier alle Bauelemente zu einem harmonischen Ganzen vereinigen, das ist Schönheit und Harmonie dieser Kirche. Wir können sagen: Diese Heidenheimer Klosterkirche ist ein Werk von "edler Einfalt und stiller Größe", eine wundervolle Melodie vollendeter Bauschöpfung.